Mit Schnitzeisen und Klüpfel nach Irland
Gern ermöglichen wir unseren Auszubildenden Auslandspraktika um einen Blick über Tellerrand zu werfen. Meike Kratzer, angehende Holzbildhauerin beschreibt ihre aufregende Zeit im Gastbetrieb in Irland so:
6 Uhr morgens. Ich sitze am Dubliner Flughafen mit meinem Handgepäck und einer heißen Schokolade in der Hand und warte auf das Boarding. Gefühlt bin ich gerade erst hier gelandet und habe nach Emmet, meinem Gast-Meister Ausschau gehalten, ungewiss, was mich in den drei Wochen Praktikum erwarten wird. Nun sind die drei Wochen um und ich habe das Gefühl, als würde ich mein zuhause erneut verlassen. Bereits am ersten Tag habe ich mich in Irland unglaublich wohl gefühlt. All die Zweifel und Bedenken waren mit einem Blick auf Emmet, mit dem Schild mit meinem Namen in der Hand, verflogen. Auch seine Frau, die schon im Auto auf uns wartete, war unglaublich nett und nach der Stunde Fahrt bis nach Castledermot habe ich mich bereits so angekommen gefühlt, dass es einfach eine tolle Zeit werden musste. Auch meine Gastfamilie, Verwandte von Emmet die direkt in Castledermot wohnen, war super lieb und hat mir den Aufenthalt noch mehr versüßt. Das Praktikum selbst war mehr als ich mir wünschen konnte. Mein Ziel war es, in eine andere Richtung der Bildhauerei Einblicke zu erhalten, nachdem ich nun zwei Jahre Spielplatzbau erlebt hatte. Emmet ist selbstständig, hauptsächlich Drechsler und manch einer würde ihn als Künstler bezeichnen. Er selbst sieht sich vielmehr als Macher und ich würde es noch weiter fassen: er ist ein Tausendsassa. Er hat so viel Wissen in allen möglichen Bereichen. Vor allem natürlich was Holz, Holzbearbeitung und das Drechseln anbelangt, aber ich habe auch viele wertvolle Tipps zur Selbstständigkeit, Kreativbusiness und Vertrieb erhalten und nebenbei viel über die Geschichte Irlands, insbesondere Castledermots und Umgebung erfahren. Ganz zu schweigen von den vielen Gesprächen und Diskussionen über gesellschaftliche und politische Themen. Emmet lernt sich gerne in neue Gebiete ein, probiert viel aus und sagt nie „Geht nicht“. Dabei habe ich einen seiner Leitsätze kennengelernt „There‘s no such thing as `can’t‘. You’re either too lazy, don’t bother or don’t know it yet.” Nichts ist somit unmöglich, denn wir hören auch nie auf zu lernen. So konnte auch ich ihm ein paar Dinge aus der Bildhauerei zeigen, wie das Schärfen von Schnitzeisen ohne Maschine und Schnitztechniken wie Kerbschnitt und Kerbschrift angeht.
Während meines Praktikums habe ich außerdem gelernt mehr auf meine Hände und die Intuition zu hören, als mir immer einen Plan machen zu müssen. Emmets Werke entstehen weitestgehend im Prozess. Es gibt nur einen groben Plan und die Hände und das Holz machen dann den Rest. So ist jedes seiner Werke lebendig, organisch und vor allem individuell. Ich durfte einige seiner Bestseller grob vordrechseln. 34 sogenannte Tulpen. Dabei wurden alle Stücke nur grob auf die ungefähre Größe zugesägt und nach Gefühl auf die ungefähre Form gedrechselt, ganz ohne nachmessen oder Schablone.
Was vom originalen Ursprungsprodukt abweicht sind „Designmodifikationen“, niemals Fehler.
Nebenbei konnte ich mich natürlich selbst an einigen Stücken im Drechseln ausprobieren. Ein Kerzenständer sowie zwei Schalen werden zuhause in Deutschland zukünftig das Wohnzimmer zieren und zwei Christbaumanhänger werden als Geschenke zu Weihnachten verschenkt. Mitnehmen werde ich für mich aber auch die vielen Einblicke in neue Techniken, wie das Vergolden mit Blattgold und Schlagmetall, das Räuchern und Bleichen von Eiche und das Strukturieren von Werkstücken.
Aber auch Inspirationen für mein Gesellenstück, das im nächsten Jahr gefertigt wird, nehme ich aus Irland mit. Bei den vielen Fahrten mit Emmet durch Castledermot und den nahegelegenen Ort Carlow, sowie den Sonntagsausflügen mit meiner Gastfamilie zu vielen Sehenswürdigkeiten und Ruinen der Region, aber auch bei meinen Solo-Trips nach Dublin und Kilkenny habe ich mir viele Anregungen geholt. Es gibt so viele wertvolle Kunstartefakte, Architekturen und Landschaften in Irland zu entdecken, da musste etwas hängen bleiben.
Mit schwerem Herzen verabschiede ich mich nun also von diesem herrlichen Land und der Werkstatt von Emmet. Zurück geht es nach Deutschland, wo ich mich wieder an das frühe Aufstehen gewöhnen muss. Kein Arbeitsbeginn mehr um (ungefähr) 9 Uhr, kein Ofen muss mehr allmorgendlich angeschürt werden und auch die Teepausen mit Emmet sind nun erstmal vorbei. Es geht von der kleinen Ein-Mann-Werkstatt zurück in den 250-Mann-Betrieb.
Aber ich komme wieder. Das steht fest.